Wir sitzen mitten in Istanbul in einer gemütlichen Airbnb-Wohnung. Eine Baustelle hämmert von fern. Ein Strassenmusiker singt. Autos hupen. Ein kleines Café direkt unter uns lädt zum Verweilen ein. Stadtbesucher schiessen Selfies auf der farbigen Treppe unter unserem Fenster. Orlando steht in einem Parkhaus und erholt sich von der Reise.
Istanbul wollten wir eigentlich erst auf der Rückreise besuchen, aber wie gesagt: Pläne sind dazu da, über den Haufen geworfen zu werden. Und da es momentan keine Fähren von Griechenland in die Türkei gibt, mussten wir unsere geplante Route, von Rhodos in die Südtürkei eben über den Haufen verwerfen.
Wir bereiten uns auf die Fährenfahrt von Kreta nach Athen vor, reservieren eine Kabine für die Nachtfähre, kontrollieren noch einmal fein säuberlich Datum, Zeit, Abfahrt -und Ankunftshafen und buchen die Tickets. Diese holen wir bereits am Nachmittag ab und bummeln noch etwas durch die Stadt. Alles unter Kontrolle. Sauber geplant und gepackt. Als es endlich darum geht, mit Orlando in den Bauch der Fähre zu fahren sagt uns der Platzeinweiser: «Das sind die falschen Tickets. Damit reist ihr nirgendwo hin.» Während die anderen Autos in die Fähre rollen, renne ich zum Schalter. «Können Sie mir die Tickets noch einmal ausstellen? Diesmal die Richtigen bitte?» Die Frau hinter der Glasscheibe trägt eine Gesichtsmaske. «Humei tas hu schtmof?» «Bitte?» «Humei tas hu schtmof?» «Die Tickets! Es sind die Falschen. Wir müssen auf die Fähre!» «Smpf tihl schei!» Ich versteh kein Wort. «Die Maske! Ich versteh Sie nicht». «Smpf tihl schei!!!» wiederholt sie etwas lauter. So kommen wir nicht weiter, denke ich. Vielleicht schlafen wir einfach im Hafen und nehmen morgen die nächste Fähre nach Athen.
«Excuse me, what is your problem?» Eine junge Frau mit verständlichem Englisch stellt sich vor. Ich zu ihr: «Die Fähre, die Tickets, die Maske,… Können Sie mir meine Tickets noch einmal ausstellen? Hier ist meine Reservationsnummer.» «Ja, kann ich» «Danke». «Oh, es gibt keine Kabinen mehr an Bord». «Nein…».«Doch. Sie können nur noch in einem Schlafsessel…». «Genau das haben wir die letzten 20 Jahre gemacht und genau das wollen wir nicht mehr. Deshalb haben wir ja alles so schön säuberlich aufgegleist.» Verwirf den Plan, mach einen Neuen, denke ich. In diesem Moment sagt die Frau am Schalter: «Es gibt noch eine Luxuskabine».
Ich renne mit den neuen Tickets zurück zum Bus. Die Fähre wartet freundlicherweise auf uns. Ein Polizist steht neben Orlando und weist mich dezent auf einen Schaden an seinem Auto hin, den ich verursacht haben soll. «Where do you come from?» fragt er mich, bereit das Schadensprotokoll aufzunehmen. «That wasn’t me» sag ich, freue mich heimlich, dass ich diesen Satz an einen Polizisten richten kann, steige ein und fahre als Letzter mit Orlando in den Bauch der Fähre.
Wir haben die Luxuskabine der Minoan Lines genossen, haben mit dem kühlgestellten Weisswein auf umgeworfene Pläne angestossen, haben endlich wieder mal heiss geduscht, den Fernseher angedreht, und es uns auf dem grossen Bett bequem gemacht, während der Hafen von Heraklion an unserem Bullauge vorbeizog und dem Meer Platz machte.
Planänderungen haben etwas Schönes an sich. Durch den Umweg von über 1500 km hatten wir die Möglichkeit in einer Luxuskabine zu reisen, unerwartet Freunde in Thessaloniki zu besuchen, Orlandos Heizung zu reparieren, das beste griechische Abendessen zu geniessen, für zwei Flüchtlinge aus Moira zu kochen, Orlando in pink zu sehen und jetzt auch noch die lebendige und wunderschöne Stadt am Bosporus zu entdecken.
Die Kultur hat sich mit dem Grenzübergang schlagartig verändert. Neue Gerüche steigen uns in die Nase, die Melodie der Sprache, die Geräusche auf den Strassen und die Natur… wir fangen sie voller Neugier und Vorfreude ein und lassen uns weiterhin überraschen.