Das Ende der Strasse

Die Strassen sind plötzlich nicht mehr geteert, dafür voller Schlaglöcher und Risse. Berge mit grünen Hängen, die in den Himmel wachsen vor uns. Wir haben den Kaukasus erreicht. Um uns herum rostende Autos, rostende Häuser, rostende Gasleitungen, rostende Strassenpfosten. Rost gehört hier zum Alltagsbild. 

Auf Georgiens Strassen fahren uns Autos entgegen, die ihr Verfallsdatum schon lange überschritten haben. Denn hier darf alles, was noch fährt, gefahren werden. Und was nicht mehr fährt, steht im Strassengraben als Abfallcontainer, Hühnerstall, Ersatzteillager oder rostendes Gerippe. 

Orlando ist in Georgien ein gern gesehener Gast. Menschen winken ihm fröhlich zu, machen Fotos, erzählen von ihrem lang gehegten Traum, auch mal mit so einem Bus durch die Welt zu reisen.

Wir fahren in Täler hinein, in denen die Strassen vor dem Kaukasus enden. Lassen Orlando stehen. Gehen zu Fuss weiter. Geniessen die Stille der Berge, das Rauschen der Flüsse, das Spiel der tieffliegenden Wolken.

Auf unserer Reise haben wir immer wieder Menschen nach dem «Ende der Strasse» gefragt. Was das Bild «Ende der Strasse» für sie bedeutet. Die Antworten waren überraschend unterschiedlich. Für die einen ist das Ende der Strasse der Tod. Für andere ist es der Ort, an dem sie sich niederlassen, um ihren Traum zu verwirklichen. Dann gibt es welche, für die das Ende der Strasse der Abschluss eines Lebensabschnitts ist. Für die meisten gehört das Ende der Strasse zum Leben. Für ein paar wenige fühlt sich das Ende der Strasse bedrohlich an. Für niemanden war es bereits erreicht.

Uns überraschte das Ende der Strasse. Wir wussten ja, dass es kommen wird. Wir haben es für Orlando’s Reise geradezu gesucht. Trotzdem waren wir überrascht. Es erwischte uns Mitten in unserer gewohnten Vorwärtsbewegung. Mitten im Reisen. Plötzlich war es da. Das Ende unserer Strasse. Hätten wir gewusst, dass es uns so schnell erreichen würde, wären wir vielleicht ein bisschen langsamer gefahren… Eine grosse Müdigkeit breitete sich in uns aus. Unsere Köpfe leerten sich. Die innere Stimme, die uns jeden Tag mit Ideen fütterte, verstummte.

Für diese Reise haben wir das Ende der Strasse am weit entferntesten Ort von unserem Zuhause erreicht. Vor dem Kaukasus. Wir standen drei Tage und drei Nächte still. Um das Umkehren nicht nur in unserem Kopf zu begreifen, sondern auch in unserem Körper ankommen zu lassen. Als wir uns schliesslich umdrehten, merkten wir, dass wir einen grossen Schritt weitergekommen sind. Wir stehen am Anfang einer neuen Strasse, die uns voller Ideen im Gepäck nach Hause führen wird.